Folgen von sexuellem Missbrauch

Sprachlosigkeit

Besonders in jenen Fällen, wo die Täter für den Schutz und die Sicherheit der Betroffenen verantwortlich waren, wird das Vertrauen in andere oft nachhaltig zerstört. Das schlimme Erleben macht sprachlos. Es gibt keine Worte für den Missbrauch. Aber auch in späteren Jahren kann es noch immer schwer sein, über eigene Gefühle und das traumatische Erleben zu sprechen.

Schuldgefühle

Die meisten Opfer werden von Schuldgefühlen geplagt. Sie haben das Gefühl, sich selbst erst in die Missbrauchssituation gebracht oder den Täter animiert zu haben. Nicht selten schieben Täter ganz bewusst die Schuld den Mädchen und Jungen zu. Auch Scham bestimmt das Lebensgefühl von Betroffenen. Sie fühlen sich beschmutzt, nichts mehr wert.

Ängste

Die Macht des Täters führt zur Machtlosigkeit des Opfers. Der Eindruck, gegenüber anderen oder Lebensumständen ohnmächtig zu sein, kann sich tief in die Seele einbrennen. Manche zweifeln nun an ihrer eigenen Wahrnehmung, haben mit Ängsten zu tun oder legen innere Schwüre ab, z.B. niemanden mehr an sich heranzulassen – trotz aller Sehnsucht nach Liebe.

Aggression und Autoaggression

Das Erleiden sexueller Gewalt sät aber auch Aggressionen. Die Wut wird gegen andere gerichtet, manchmal in einem schädigenden Ausmaß. Oder sie äußert sich in Autoaggression bis hin zu selbstverletzendem Verhalten. Bei Betroffenen, die aus einem christlichen Kontext kommen, kann das Gottesbild beschädigt werden. Das ist ganz besonders dann der Fall, wenn der Täter ebenfalls Christ ist.

Traumatisierung

Je jünger die Opfer sind und je häufiger ein Missbrauch stattgefunden hat, desto wahrscheinlicher entstehen Traumafolgestörungen. Erleben die Opfer Übergriffe am eigenen Körper, hinterlässt dies tiefe Spuren in der Seele. Aber auch die Schutzfaktoren spielen eine große Rolle für die Verarbeitung des Missbrauchs. Findet das Opfer sicheren Halt bei den Eltern oder anderen Vertrauenspersonen? Kann es sich jemandem anvertrauen? Wird ihm geglaubt und für seine Sicherheit gesorgt? Erlebt es nicht die nötige Sicherheit und auch Hilfestellung zur Verarbeitung, wird die Erinnerung an die schlimmen Erlebnisse oft abgespalten. Sie wird wie in viele lose Puzzleteile zerlegt und an verschiedenen Stellen des Gehirns abgelegt, so dass das Bewusstsein nicht mehr auf die ganze Erinnerung zurückgreifen kann.

Es können Symptome auftreten, die nicht vom Bewusstsein mit dem Missbrauch verbunden werden. Betroffene beschreiben manchmal, dass sie im Alltag oft wie neben sich stehen: eine Hülle, die irgendwie tut, was getan werden muss – ohne Gefühle, ohne eine richtige Verbindung zum „eigentlichen Selbst“ oder zum eigenen Körper zu haben. Diese Symptome werden von Betroffenen und deren Umfeld als unangenehm empfunden, sie haben aber einen Sinn. Sie sind normale Reaktionen auf ein unnormales Ereignis! Die Seele macht auf das Unaussprechliche aufmerksam.

Denkangebot Nr. 5 - Traumatisierung verstehen

Impulse für den Umgang mit schweren seelischen Verletzungen

Das Beste wäre, wenn es gar nicht erst geschieht. Aber die Realität sieht anders aus. Viele Menschen haben sexualisierte Gewalt erlebt und tragen seelische Verwundungen mit sich. Oft werden sie unabsichtlich immer wieder verletzt, manchmal sogar durch gut gemeinte Hilfe. Unsere Broschüre klärt darüber auf, was solche Verletzungen mit Menschen machen und wie man sachgemäß und hilfreich damit umgehen kann. Sie ist in unserer Mediathek unter der Kategorie "Denkangebote" bestellbar.

Körperliche und seelische Reaktionen

Körperliche Verletzungen sind nur selten erkennbar. Dennoch sollte in einem eindeutigen Verdachtsfall ein Arzt konsultiert werden, der ggf. verborgene Spuren entdecken bzw. Beweismittel sichern kann. Es gibt auch keine seelischen Reaktionen, die eindeutig auf einen sexuellen Missbrauch hindeuten würden. Aber das Auftreten verschiedener Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen kann einen Hinweis geben.

Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen, die im Zusammenhang von sexueller Gewalt auftreten können:

  • nächtliche Alpträume
  • plötzliches Einnässen oder Einkoten
  • das Kind wirkt verschlossen
  • verändertes Spielverhalten
  • Rückzugstendenzen
  • Das Kind lässt sich nicht mehr berühren
  • ungewohnte Aggressivität
  • Konzentrationsschwäche
  • Leistungsabfall in der Schule
  • Schulverweigerung
  • Ausreißen von zu Hause
  • Ängstlichkeit
  • Kind möchte nicht mehr allein im eigenen Bett schlafen
  • es zieht viele Kleidungstücke übereinander an
  • Meidung bestimmter Orte oder Personen
  • ungewöhnliches Waschverhalten (zu viel/zu wenig)
  • vorsätzliche Selbstverletzung
  • Gewichtsabnahme und –zunahme
  • Alkohol-, Tabletten- oder Drogenkonsum
  • sexualisierte Sprache/Verhalten
  • Übergriffigkeit gegenüber anderen Kindern und Jugendlichen
  • Auffällig nahe Beziehung zu älteren Jugendlichen/Erwachsene

Keines der genannten Symptome lässt eindeutig auf sexuellen Missbrauch schließen! Jedes von ihnen kann ganz andere Ursachen haben! Zugleich sollten Eltern, pädagogische Fachkräfte und Ehrenamtliche in der Kinder- und Jugendarbeit Verhaltensänderungen aufmerksam beobachten, denn sie deuten auf jeden Fall darauf hin, dass das Kind oder der Jugendliche Probleme hat.

Posttraumatische Belastungsstörung

In schwerwiegenden Fällen kann sich eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) entwickeln. Bei Opfern, die im Kindesalter missbraucht worden sind, kann die PTBS auch erst im Jugend- oder Erwachsenenalter auftreten. Neben den bereits genannten Symptomen können dann Gefühle wie Trauer, Hilflosigkeit, aber auch emotionale Taubheit den größten Teil des Tages im Vordergrund stehen. Außerdem treten häufig körperliche Symptome auf und die Anfälligkeit für körperliche Krankheiten steigt.

Wer bei sich solche Symptome wahrnimmt, sollte die Ursachen in einer qualifizierten Beratung oder Therapie abklären lassen, unabhängig davon, ob er sich an eine traumatische Erfahrung erinnert oder nicht.

Bei Menschen mit PTBS tauchen Erinnerungen an das Trauma oft unerwartet auf. Dies kann in Form von kurzen Erinnerungsbruchstücken („flash-backs“) bis hin zum Erinnern des gesamten Ereignisses geschehen. Die emotionale Erinnerung führt zu dem Eindruck, das Trauma noch einmal zu erleben. Die gleichen Gedanken, Gefühle und körperlichen Reaktionen wiederholen sich. Das Wiedererleben löst eine Vielzahl unangenehmer Gefühle und auch körperliche Reaktionen aus, wie z. B. Schwitzen, Zittern, Herzrasen, Übelkeit, Atembeschwerden oder Magen-/Darmbeschwerden.

Störungen im Verhältnis zu sich selbst und zu anderen

Das Leben mit diesen Symptomen ist anstrengend und verwirrend, weil die Betroffenen sich selbst nicht verstehen und auch in ihrem Umfeld oft auf Unverständnis stoßen. In der Folge leiden sie nicht selten unter depressiven Verstimmungen bis hin zu suizidalen Gedanken. Erwachsene, die in der Vergangenheit missbraucht worden sind, haben Schwierigkeiten damit, ihre eigenen Grenzen zu spüren. Sie arbeiten oder opfern sich für andere auf, ohne zu merken, dass sie sich weit über ihre eigenen Kräfte hinaus investieren. In Beziehungen fällt es ihnen immer wieder schwer, das Verhältnis von Distanz und Nähe zu regulieren. Zudem leiden viele Betroffene unter unkontrolliert starken Schmerzgefühlen, die sowohl die Seele als auch den Körper betreffen können.

Das Weiße Kreuz bietet Beratung auch für Erwachsene, die die eigenen, vielleicht sogar lange zurückliegenden Verletzungen anschauen und aufarbeiten möchten.

Nicht zuletzt sind es bestimmte Auslöser (Trigger), die mit dem Trauma in Zusammenhang stehen und die die aufdringlichen Erinnerungen wieder und wieder hervorrufen. Dies können z. B. bestimmte Gegenstände, Geräusche, Gerüche oder Lichtverhältnisse sein, die zufällig zur Zeit des Ereignisses präsent waren oder aber bestimmte Merkmale, die direkt mit dem Täter in Verbindung stehen.

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