Ein perfektes Kind, bitte!?

Medizinisch gesehen ist heutzutage sehr viel machbar und vieles in Entwicklung. Gleichzeitig gibt es weiterhin unzählige Fälle, in denen auch die moderne Medizin an ihre Grenzen kommt und nicht helfen kann. Doch in einer Gesellschaft, in der Zeitmangel vorherrscht und das Streben, möglichst effektiv und individuell gewinnbringend zu leben, kann  sich der Kinderwunsch mehr und mehr zum erfolgsorientierten Projekt entwickeln. Gepaart mit einer großen  Medizingläubigkeit kann man in einen Bereich gelangen, der ethisch problematisch werden kann: die modernen Möglichkeiten vorgeburtlicher Diagnostik.

Ungeahnte Möglichkeiten

Was früher undenkbar schien, ist heute machbar. Bereits in der Frühschwangerschaft etwa ab der 7. Schwangerschaftswoche kann man durch Untersuchung von mütterlichem Blut das Geschlecht des ungeborenen Kindes feststellen. Des einen Freud, des anderen Lebensgefahr. Denn dieses Wissen kann für ungeborene Kinder regelrecht lebensgefährlich sein. Immer noch ist es kulturell in einigen Ländern dieser Erde höchst unerwünscht, Mädchen zur Welt zu bringen. Die Folgen dieses Handelns wird die heranwachsende Generation tragen müssen, wenn zahlreiche Männer keine Lebenspartnerin in ihrem Alter finden werden. Aber auch das praktische Heranzüchten von Menschen ohne genetischen Makel (z.B. eines Brustkrebsgens), früher undenkbar, ist heute technisch möglich und in Ländern mit entsprechender Gesetzgebung legitim.

Große Verantwortung

Diese vermeintliche „Gesundheit“ wird durch einen hohen Preis erkauft. Immerhin werden zahlreiche Embryonen, die der gesundheitlichen Norm nicht entsprechen, abgetötet – oder wissenschaftlich gesagt – „verworfen“. Wir sprechen von Größenordnungen bis zu einer Schulklasse pro Kind! All das wirft Fragen auf: Welches Leben ist lebenswert? Und wer entscheidet das? Ist vorgeburtliche Diagnostik (sog. Pränataldiagnostik) von vornherein abzulehnen oder problemlos anzuwenden?

Man sollte das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Vorgeburtliche Diagnostik hat sehr wohl ihren Stellenwert. Im Ultraschall erkannte Fehlbildungen oder andere körperliche Erkrankungen des Kindes können beispielsweise die geplante Entbindung in einem Spezial-Krankenhaus ermöglichen. Sogar erste Operationen an Kindern mit offenem Rücken im Mutterleib oder solche mit Abschnürungen von Gliedmaßen durch Gewebebänder (sog. Amnionbandsyndrom) werden heutzutage schon erfolgreich durchgeführt. Und bei Erkrankungen, die nicht behandelt werden können, besteht immerhin noch die Möglichkeit, die Eltern auf das Geschehen in gewissem Maße vorbereiten zu können. Oftmals gibt es in der Diagnostik Wahrscheinlichkeitsaussagen, die durch weiterführende, invasivere Methoden näher eingegrenzt oder ausgeschlossen werden sollen.

So bleibt vorgeburtliche Diagnostik ein hochspannendes Thema, bei dem es keine Standardantworten gibt.

Als wir erfuhren, dass ich schwanger bin, war die Freude zuerst sehr groß. Wir hatten lange auf diesen Augenblick gewartet. Doch schnell kam auch die Sorge hinzu, ob unser Kind auch gesund ist. Für uns war klar, dass wir dieses Kind bekommen möchten, egal was bei den Untersuchungen herauskam. Aber wir wollten wissen, auf was wir uns einstellen können.

Maria und Adriano

Die Methoden

Nicht-invasive Diagnostik

Grundsätzlich unterscheidet man nicht-invasive von invasiver Diagnostik. Nicht-invasive Diagnostik ist gekennzeichnet durch körperlich wenig belastende Verfahren, die Hinweiszeichen auf kindliche Fehlbildungen geben können:

  • Ultraschall (z.B. Nackenfalte 10./11. Woche; Spezialultraschall 18.-22. Woche)
  • Blutuntersuchung der Mutter (nur „invasiv“ für die Mutter, aber nicht fürs Kind; Hinweise auf Fehlbildungen; z.B. Ersttrimester-Screening, Alphafetoprotein [Marker für einen offenen Rücken], Triple Test)

Der Triple-Test beispielsweise gibt Wahrscheinlichkeiten für kindliche Fehlbildungen im Vergleich zu Schwangeren gleichen Alters und gleicher Schwangerschaftswoche an, eine konkrete Aussage im Einzelfall jedoch nicht. Ein individuelles Risiko von 1:500 bedeutet 499 gesunde und ein betroffenes Kind. Ein individuelles Ergebnis von 1:50 könnte die Frau sehr verunsichern, obwohl 49 Kinder ein völlig normales Erbgut haben und nur ein Kind einen Gendefekt aufweist. Die so ausgelöste Verunsicherung werdender Eltern ist nicht zu unterschätzen. Meist mündet sie in dem Wunsch, nun noch mehr vermeintliche Sicherheit bezüglich eines Verdachtsmomentes erhalten zu wollen. Und schon befindet man sich an der Schwelle zur  invasiven Diagnostik.

Invasive Diagnostik

  • Amniozentese (14-18. Woche)
  • Chorionzottenbiospie (8-11.Woche)

In der Tat ist die Aussagekraft einer Fruchtwasserpunktion (Amniozentese) hoch, allerdings um den Preis einer Fehlgeburtsrate von 0,1%. Bei 1000 Fruchtwasserpunktionen versterben 1-2 Kinder – unabhängig vom Befund, einzig und allein durch die Untersuchung. Bei der Untersuchung von späterem Mutterkuchenmaterial (sog. Chorionzottenbiopsie) liegt die Fehlgeburtsrate laut neueren Studien ähnlich hoch. Früher schätzte man das Risiko in beiden Fällen deutlich höher ein. Natürlich spielt bei diesen Untersuchungen auch die Erfahrung des Untersuchers eine wichtige Rolle und seine persönlichen Fallzahlen. Diese kann man im Aufklärungsgespräch erfragen.

Vorgeburtliche Diagnostik wird vor allem jenen Frauen angeboten, die ein sogenanntes Altersrisiko (> 35 Jahre) haben – eine Altersgruppe, die generell nicht so leicht schwanger wird. Das liegt nicht daran, dass ab 35 schlagartig Fehlbildungen auftreten würden, die bei jüngeren Frauen gar nicht vorkommen, sondern dass man eine Altersgrenze gezogen hat, ab der die Häufigkeit von Fehlbildungen ansteigt. Bei keinem dieser invasiven Verfahren kann jedoch letztlich eine 100%ige Sicherheit erzielt werden. Denn  selten besteht die Möglichkeit von Mosaikfehlbildungen: Darunter versteht man einige genetisch veränderte Zellen bei einem ansonsten völlig normalen Restorganismus.

Konsequenzen

Vorgeburtliche Diagnostik hat ihren Stellenwert und Sinn. Gleichzeitig ist es wichtig, dass werdende Eltern über Art und Erfolgsaussichten der Diagnostik gut informiert sind und dass klar ist, in welchen Fällen vorgeburtliche Diagnostik kurativ helfend wirken und in welchen sie nur informativ wegweisend sein kann, und das oftmals in Form von Wahrscheinlichkeiten. Darüber hinaus wäre es wünschenswert, dass auch die werdenden Eltern sich vorab Gedanken machen zu der Frage, was sie von einer vorgeburtlichen Diagnostik erwarten und welche Schritte sie zu gehen bereit wären. Käme ein Schwangerschaftsabbruch im Fall einer wahrscheinlichen Behinderung des Kindes in Frage oder nicht? Und macht eine invasive Diagnostik Sinn, wenn ein Schwangerschaftsabbruch per se nicht in Frage käme?

90% der werdenden Eltern, die den Verdacht der Erbgutveränderung des „Down-Syndroms“ erhalten, entscheiden sich für den Abbruch der Schwangerschaft auch jenseits des dritten Monats. Der Gesetzgeber hat zu späten Schwangerschaftsabbrüchen  jenseits der 12. Schwangerschaftswoche verfügt, dass  zwischen dem ausgesprochenen Verdacht einer kindlichen Fehlbildung und dem Schwangerschaftsabbruch 3 Tage sowie eine spezielle Fachberatung zu dieser Fehlbildung liegen müssen, um  übereilten Entscheidungen vorzubeugen.

Die vorgeburtliche Diagnostik stellt uns vor die Frage, in was für einer Gesellschaft wir leben wollen. Sollen Menschen mit Behinderungen willkommen sein und integriert werden, oder schließen wir sie aufgrund einer Kosten-Nutzen-Rechnung aus? Bislang sind die Wege für Eltern, die sich für diesen Schritt entscheiden, ihr Kind brutto anzunehmen, nicht überall einfach. Drückt sich darin, ob Unterstützung zu finden ist, beispielsweise in der problemlosen Bewilligung von Pflegeleistungen oder Integrationshelfen, nicht indirekt auch aus, was wir unter lebenswertem und nicht lebenswertem Leben verstehen?

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